Fachtagung
Die freie Enzyklopädie Wikipedia: Zeitgeschichtliche Themen in der Fotografie
Zeitgeschichtliche Dokumente oder wertlose Überbleibsel:
Was soll mit der Architektur des Dritten Reiches geschehen?
Nürnberg, 24.-26. April 2015
Schon
zum 15. Mal trafen sich im April 2015 ehrenamtliche
Fotografen der deutschsprachigen Wikipedia in Nürnberg zum Fotoworkshop
"Zeitgeschichtliche Themen in der Fotografie" in Nürnberg. Organisiert
werden die Workshops von der
Nürnberger Medienakademie e.V. gemeinsam mit dem
Bayerischen Seminar für Politik e.V. München.
Wikipedia ist ein Projekt
zum Aufbau einer Enzyklopädie aus freien Inhalten in allen Sprachen der
Welt. Jeder kann ehrenamtlich mit seinem Wissen beitragen. Seit Mai 2001
sind so 1.825.892 Artikel in deutscher Sprache entstanden (Stand: Juni 2015). Themenfelder sind Geografie, Geschichte, Gesellschaft, Kunst und
Kultur, Region, Sport, Technik und Wissenschaft.
Thema war diesmal neben fotofachlichen Workshops der Umgang mit architektonischen Relikten aus dem Dritten Reich. Politik und Geschichte sind zentrale Themen der deutschsprachigen
Wikipedia. Die
jüngere Zeitgeschichte nimmt dabei einen besonderen Stellenwert ein. Die
Themen werden dabei zunehmend mit Bildquellen erschlossen und
verständlich gemacht. Unsere Tagung bringt Autoren und Fotografen, aber
auch Organisatoren von Wikipedia zusammen. Dabei werden Handlungsansätze
und Strategien diskutiert, wie komplexe politische, wirtschaftliche und
soziale Themen von betroffenen und politisch interessierten Bürgern
erarbeitet und durch Wikipedia der politisch interessierten
Öffentlichkeit präsentiert werden können.
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Historikerin Nina Lutz stellt das Zeppelinfeld vor |
Fotografie und Zeitgeschichte: Projekt "Lernort Zeppelinfeld"
(mit Exkursion zum Zeppelinfeld auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände)
Seit
Jahren werden Schäden und Verfall der Zeppelinhaupttribüne und der
Wallanlagen trotz des kontinuierlichen Bauunterhalts immer deutlicher.
Regen und Frost haben den 1935/37 entstandenen Bauwerken immer mehr
zugesetzt. Ein Expertenteam bereitet ein Instandsetzungskonzept vor, das
musterhaft im Jahr 2015 umgesetzt werden soll. Auf dieser Basis sollen
die Kosten für die gesamte Anlage ermittelt werden. Durch den Erhalt der
architektonischen Zeugnisse der ehemaligen NS-Reichsparteitage will die
Stadt Nürnberg künftigen Generationen
das historische Areal als authentischen Lernort bewahren.
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Diese Treppen führen zur abgebrochenen Seitentribüne der Zeppelinarena. |
In der
aktuellen Diskussion ist der
Erhalt der Anlagen umstritten. Nürnbergs ehemaliger Kulturreferent
Hermann Glaser setzt sich dafür ein, die Anlagen gezielt verfallen zu
lassen und sieht das als historischen Prozess. Die Stadt Nürnberg will
das Zeppelinfeld als zeitgeschichtliches Relikt erhalten und behutsam
sanieren. Nach der wissenschaftlich fundierten Einführung durch die Historikerin Nina Lutz von Geschichte für alle e.V. konnten die
Teilnehmer unter fachkundiger Anleitung fotografieren und die
historischen Bauwerke im Bild festhalten.
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Unkontrollierter Umbau: Pflanzen siedeln sich in den Fugen der Treppen an. |
Die
Referentin sieht das Zeppelinfeld, neben dem Luitpoldhain der einzige
fertiggestellte Bau auf dem
Reichsparteitagsgelände, als „Burg der
Volksgemeinschaft“. Die Anlage mit 34 Türmen ist auch nach der 1967
erfolgten Sprengung der Seitentribünen der ideale
Lernort, um die
steingewordene Ideologie der Nationalsozialisten in ihrer Gigantomanie
zu begreifen.
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34 dieser Türme umrahmen das historische Zeppelinfeld. |
Zeitgeschichte und Fotografie:
Kopfbau des Postgebäudes am Nürnberger Bahnhofsplatz
(mit Exkursion zum Hauptpostamt am Bahnhofsplatz sowie zum im Umfeld gelegenhen ehemaligen Gauhotel und Gauhaus)
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Der Kopfbau des Postgebäudes am Hauptbahnhof |
Der
Kopfbau des Postgebäudes am Bahnhofsplatz, ein aus den frühen dreißiger
Jahren stammender Bau, soll abgerissen werden. Die Altstadtfreunde
dagegen wollen es erhalten: "Es ist ein absolut erhaltungswürdiges Gebäude und
prägt das Stadtbild. An dem Gebäude lassen sich wesentliche
Architekturströmungen des 20. Jahrhunderts ablesen: die Moderne, der
Umbau durch die Nazis und der behutsame Wiederaufbau nach dem Zweiten
Weltkrieg. Es wäre ausgesprochen schade, wenn das Gebäude verschwinden
würde“, erklärt der Vorsitzende der Altstadtfreunde Karl-Heinz Enderle
Der Kopfbau steht nicht unter Denkmalschutz und der Stadtrat hat sich
nicht für seinen Erhalt ausgesprochen. Die Geschichte Nürnbergs spiegelt
sich in der Hausgeschichte wider.
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Der Fries über dem Eingang zum Postgebäude am Hauptbahnhof |
Nach kurzen einführenden Referaten vor Ort durch Peter Lokk konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Kopfbau des
Postgebäudes, das ehemalige Gauhotel, das nach 1945 zum American Bavarian Hotel wurde und nach langem Leerstand jetzt
umgebaut wird und wieder als Hotel betrieben werden soll, sowie das ehemalige Gauhaus, heute
Sitz des Verlags Nürnberger Presse, im Bild festhalten.
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Das ehemalige Gauhotel wird nach langem Leerstand derzeit umgebaut. | |
Fazit der
Teilnehmenden: Es ist möglich, zeitgeschichtliche Bauten aus dem Dritten
Reich bewusst für neue Zwecke zu nutzen, wie es beim Gauhaus oder beim
Gauhotel geschehen ist, solange die Geschichte der Bauten präsent bleibt
und kritisch thematisiert wird. Den
Kopfbau der Hauptpost abzureißen
hingegen wäre eine vertane Chance, eine solche Umnutzung zu wagen.
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Gelungene Konversion: Das ehemalige Gauhaus ist heute Sitz der Verlagsgruppe Nürnberger Nachrichten. |
Die freie Enzyklopädie Wikipedia: Ein Forum für dokumentierte Zeitgeschichte
Wikipedia kann
im Themenfeld Zeitgeschichte Archiv- und Dokumentationsaufgaben
übernehmen und im Bild Geschichte als Teil kollektiver Erinnerung
festhalten und verfügbar machen. Aufgrund der Qualitätsdefinitionen ist
eine genaue Zuordnung von Dokumenten nicht nur möglich, sondern
Grundsatz. Somit sind die Fotografen in der Wikipedia sachkundige
Dokumentare, Mittler und Akteure der Zeit- und Alltagsgeschichte.
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Geschichte zum Nachlernen: Der Fries auf der Rückseite des früheren Gauhauses |
Der 16. Wikipedia-Fotoworkshop findet im April 2016 statt. Vorschläge für die Referate und Exkursionen werden gerne berücksichtigt. Anfragen richten Sie bitte an medienakademie@link-m.de
Peter Lokk